Farbfarbe
Zu Arbeiten von Ralf Bittner
Im Gegensatz zu den vielen Künstlerinnen und Künstlern, die sich der sogenannten
zeitgenössischen Lichtkunst verschrieben haben, kommt Ralf Bittner in seinen
Arbeiten – zwischen Farbmalerei und Fotografie – offensichtlich ganz ohne
fluoreszierende Leuchtmittel, aufwendige technische Apparaturen und jedwede
Stromversorgung aus. Dass diese den sie Betrachtenden nichtsdestoweniger
dennoch gehörig unter Strom setzen, ja in geradezu visuelle, wenn nicht sogar
synästhetische Strömungen zu versetzen imstande sind, zeichnet sie in besonderem
Maße aus.
Ist sie nämlich erst einmal eingeschaltet – und das ist sie bei Ralf Bittner immer –,
flasht hier die Farbe allenthalben. Ein helles Flimmern und ein gleißendes Raunen
von Licht ballt sich da zusammen, fliegt einem gleich lauthals um die Augen, klingt
nach plötzlich neonfarbenem Brausepulver auf den Zungen, brandet an wild
tumultuarischen Riffs himmlischer Gitarrengötter und anderer Heroinen an, die in
dieser verwegenen Liveversion noch nirgendwo anders zu sehen und hören gewesen
waren.
Was scheren uns da noch sorgsam abgezirkelte Licht–Raum–Modulatoren, wie sie
dereinst etwa ein László Moholy–Nagy ersonnen hatte, und sämtliche seiner
turellischen Nachfahren, wenn Farbe und Licht auch alles aus sich selbst heraus sein
können. Analog, Material, Oberfläche, durchscheinender Grund, allerhand
Sehstörungen im besten Sinne, auch ohne das beiläufige Mitsummen elektro–
elektrischer Zutaten. Die Lichter der Großstadt und alle anderen Leuchtreklamen sind
uns seit über 100 Jahrhundert sattsam vertraut, was schimmert und was glitzert,
begeistert uns von Anbeginn der Zeit. Das ach so Preziose gegenwärtigen Designs –
shiny, glossy, fancy – nimmt in bewährter Weise gefangen, doch was geschieht mit
einem anderen Leuchten, inwendig irgendwie, dem Einfall, dem Zufall geschuldet?
Dieses Leuchten, Aufleuchten entsteht in den Werken von Ralf Bittner allmählich,
erst an den Rändern, den Grenzen, den Übergängen, wo sich Farbe und Farbe,
Fläche und Fläche begegnen oder sich gegenseitig überlagern. Malerische und
fotografische Momente fließen schier organisch ineinander über, wo sich Schärfe und
Unschärfe unvermittelt treffen, fotografische Aufnahme, optische Fundstücke und die
mit Spachteln und Rakeln aufgetragene Farbe miteinander verschmelzen. Im
sukzessiven Einsehen dann wird es vollends unwichtig, was auf der einen Seite
Fotografie ist und was auf der anderen Seite tatsächlich aufgebrachte Farbe und
Strukturen, „gemalt“ und zugleich nicht eigentlich gemalt. Fotografisch eingefangene
Impressionen von Blätterformen, Zeichnungsspuren, der Rapport eines
Fußbodenornaments, von beliebigen Abdeckfolien oder achtlos stehengelassenen
Plastikeimern verselbständigen sich zu malerischen Lichtflächen, die hoch
reflektierenden Verschichtungen der Farblacke dagegen wirken umgekehrt eher wie
die Hochglanzoberfläche von Fotoabzügen.
Die weitgehende Auflösung festgefügter bildnerischer Kategorien und Konventionen
– hier fotografisches Abbild, dort gemalte Erfindung – setzt sich in der Wahrnehmung
der Arbeiten von Ralf Bittner weiter fort. Unversehens spielt der Bildgegenstand, das
Motiv oder Sujet überhaupt keine Rolle mehr. Horizontal verlaufende Linien, die da
entstehen, wo zwei Farbkompartimente aufeinander– bzw. aneinanderstoßen, mögen
noch die Anmutung von Landschaftlichem vermitteln, spiegelnde Oberflächen von
Grün– oder Blautönen bestenfalls die Tiefen und Untiefen von rätselhaften
Naturgewässern repräsentieren, im Dunst der verschwimmenden Farbschichten der
aufsteigende Nebel an zufällig fantasierten Horizonten. Im wesentlichen haben wir es
allerdings mit Farblichtlandschaften im weitesten Sinne zu tun, in die wir uns
selbstvergessen verlieren können, in den ebenso sinnlichen Übergängen von wirklich
Gesehenem und dem in der Imagination diffus Gedachten, jene Schärfen und
Unschärfen vor uns hin und her balancierend, überschäumend, rauschhaft, barock–
barock gewissermaßen.
Und so treffen sich dann doch noch Lichtkünstler ganz unterschiedlicher Herkunft in
den arkadischen Zwischenräumen wieder, zwischen Wirklichkeit und
Einbildungskraft, Fotografie und Malerei, stets aber inmitten von Farbe „… aus der
Überzeugung heraus, dass es möglich ist, Realität zu konstruieren; gestaltet nach unseren Träumen und Visionen und getragen von der Vorstellung, dass Konstrukte
und Modelle genauso real sind wie alles andere.“*
Clemens Ottnad
* Olafur Eliasson – Baroque Baroque (hg. von Francesca von Habsburg, Agnes Husslein-Arco, Daniela Zyman), Ausstellung im Belvedere Wien 2015/16, Berlin 2015 (zit. nach www.in-arcadia-ego.com/olafur-eliasson-baroque-baroque/)