Zwei große Bildtafeln, deren Gründe ein serielles Motiv zeigen- Verweis auf die Fortdauer des Entsetzlichen, das sich reproduziert in Ruanda, Bosnien et cetera.
Diese Motive zeigen zum Einen ein historisches Motiv, nämlich die berüchtigte Verladerampe von Auschwitz-Birkenau. Das Andere gibt ein aktuelles Foto wieder aus Gaza. Verweist ersteres auf die historische Dimension des Terrors- wohl in seiner furchtbarsten, nämlich industrialisierten Form, spielt das Andere an auf die Aktualität der ideologischen Konflikte, die uns nach wie vor beherrschen und unlösbar, also ausweglos erscheinen. Terror, Unrecht- schlicht ist kein historisches Phänomen, will dies sagen, sondern umgibt uns ständig. Gemeinsam ist allen Formen der Gewalt immer nur, dass sie sich gegen den Menschen richtet und zugleich behauptet, das Beste zu wollen. Freilich auf Kosten anderer.
Bildgrund wird hier also wörtlich genommen, bildet und zeigt den Grund, die Folie des Wirklichen, die Tat auf die die Tat des Künstlers antwortet, der sie auf seine Weise bewertet und aufnimmt.
In diesem Falle geschieht dies nicht auf bildnerische Weise, nicht die Farbe, nicht die Zeichnung soll antworten. Beides- Mittel abendländischer Kunst- und Kulturtradition- haben versagt vor dem Grauen und finden keine Verwendung mehr, so wie aller Bildungsoptimismus der bürgerlichen Epoche, alle Religion und Wissenschaft versagt haben vor dem Entsetzlichen und immer noch versagen.
Ralf Bittner findet nur zwei Materialien, die er rein und nahezu kommentarlos sprechen lässt.
Zuerst überzieht er den oben geschilderten Grund mit großen Formen aus Teer. Das Pech der Unterwelt, im Feuer der Hölle oder des Prometheus zusammengekocht ergießt sich über diese Welt und bildet eine strenge, hierarchische Form, die für sich ausdruckslos ist und nichts bezeichnet, auf nichts verweist und dadurch sozusagen einen Endpunkt bildet, aus dem nichts entstehen kann, keine Zukunft, keine Hoffnung- Gestaltung ist am Ende.
Teer bezeichnet hier gewissermaßen einen Totpunkt der Materie, eine Unfruchtbarkeit, die nicht nur selber unfruchtbar ist, sondern auch alles keimen und Werden da verhindert, worüber sie sich legt. Offen bleibt, ob dies Aussage sein soll über den Nihilismus allen menschenverachtenden Terrors. Oder gleichsam eine Art von Beschwörung, indem Ralf Bittner das Grauen symbolisch mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, dessen Wachstum und Fortpflanzung in der Welt zu hindern sucht.
Über all dem lagert, schwebt in düsterer Majestät eine Gestaltung, deren Sinn uns in seinem matt-düsteren Glanz verborgen bleibt. Wir finden keine direkte Analogie zu bekannten Formen, der Weg des Vergleichs, der Metapher bleibt uns verschlossen. Denn die Figur will nicht metaphorisch sein, will verstanden werden als das, was sie ist: als schwer, als stumpf, als lastend ausdruckslos und dabei von unbestimmbaren Stolz.
Ein Weg des Verständnisses tut sich auf, wenn wir wissen, dass diese uns dunkel berührende Gestalt aus Blei ist, giftiger Werkstoff sowohl für Gewehrkugeln wie auch für die Zunft der Buchdrucker. Ist der Gedanke tödlich, wie ein Geschoss? Kann es sein, dass jeder Tat in der Welt eine Tat des Geistes vorausgeht- auch der Untat?
Vor allem aber ist Blei das Element des Saturn, des fernsten und darum höchsten Planeten der antiken Welt, des Kinderverschlinger, der in einsamer Kälte und Dunkelheit seine langsame Bahn zieht.
Saturn, von dem sich etymologisch der uns bekannte Satan ableitet, ist der Bringer von Pesthauch, Unwetter und anderen Übeln. In Rom gab es alljährlich zu der Jahreszeit, die auch heute noch <zwischen den Jahren> heißt, ein nach ihm benanntes fest. Bei diesen Saturnalien waren Sklaven Könige und auch alle übrige Ordnung auf den Kopf gestellt.
Zugleich war Saturn aber auch Herr des goldenen Zeitalters, bevor Neid und Zerwürfnis unter die Menschen kam, als alles Sein sich aus einer Quelle speiste und nicht aus der Dualität widerstreitender Gegensätze sich emporkämpfen musste. Soll- kann dies auch ein Verweis sein? Und wenn ja, worauf? Kann es eine Ambivalenz des Grauens geben, etwas Positives an der Pest? Eine Antwort hierauf wird vom Künstler verweigert, letztlich gar nicht angestrebt.
Anders als bei Anna Seghers, bei der ein Instrument des Terrors zum Zeichen der Hoffnung wird, präsentiert uns Ralf Bittner nur den Abgrund. An Hoffnung und deren Erfüllung zu glauben scheint ihm schwer zu fallen angesichts der Kontinuität des Schreckens, der sich immer wieder selbst gebiert.
Dennoch, Ralf Bittner zeigt nur. Er stellt nichts zur Disposition, fordert keine Entscheidungen, keine Wahrheit und Stellungnahme. Vielleicht ist er der Meinung, wir hätten genug der Wahrheiten und sind zu oft an denen gescheitert, die immer recht haben in ihrem Besitz der Wahrheit. Entsprechend ambivalent ist die Position des Bleis, wie geschildert, aber auch seine physische Position innerhalb des Bildes, wo es aus der Bildachse, der Bildordnung also heraustritt und eine ganz eigene, unerklärliche Stellung behauptet. Konsequent zeigt uns Ralf Bittner seine Sicht der Dinge und ordnet sie mit künstlerischen Mitteln zu einem Bild, in dem alles dennoch seine widersprüchliche Logik findet, denn es ist der Widerspruch, wie er sagt, die Negation, die der Abgrund ist. So findet selbst das Unfassbare seine Einordnung in die Tradition und Überlieferung. Nein, es wird dadurch nicht überwunden, nicht einmal ertragbarer. Es wird dadurch nur unfasslicher. Vielleicht weil wir selber alle der Abgrund sind.